
Dass beim Thema Dramenanalyse viele Schüler[1] auf Anhieb den Kopf verdrehen, mag wohl mehrere Gründe haben. Zwei Punkte, die jedoch häufig genannt werden, sind vor allem Verständnisprobleme und die berechtigte Frage, welche Relevanz diese Texte heute noch besitzen. Zu letzterem existiert bereits ein anderer Artikel auf Lehrer24, daher beschäftigen wir uns nun in erster Linie mit den Schwierigkeiten, die beim Verstehen von Dramen – insbesondere den Klassikern – auftreten können und wie den Schülern in diesen Fällen geholfen werden sollte.
Ich denke, es ist kein Geheimnis, dass einigen Jugendlichen schon beim Gedanken an die Frage, was uns der Autor an einer x-beliebigen Stelle oder mit einem Satz mitten in einem Monolog sagen möchte, ganz anders. Die meisten Deutschlehrer pochen hierbei nämlich auf eine ganz bestimmte Antwort, die für sie und das Kultusministerium die (einzig) richtigen Interpretationen sind. Da stellt sich vielen Schülern jedoch zurecht die Frage, woher denn heutige Generationen mit Sicherheit wissen können, was Goethe, Schiller und Co. Uns mitteilen wollten und warum sie dieses und nicht jenes Wort verwendet haben. Besonders problematisch wird es, wenn Lehrer davon ausgehen, dass die richtigen Antworten auf ihre Fragen auf der Hand liegen oder sich in ihren Ansätzen bestätigt fühlen, wenn ein Schüler die gewünschte Interpretation liefert.
Gleiches gilt auch für den Besuch von Aufführungen besagter Dramen. Für Kenner liegen bestimmte Handlungsschritte auf der Hand, andere verlangen vermeintliche Interpretationen. Schließlich möchte man verstehen, was Autor und Regisseur uns mithilfe bestimmter Stilmittel sagen wollen. Doch wer hat die Antworten auf diese Fragen? Viele Menschen würden wohl davon ausgehen, dass Menschen, die sich tagtäglich mit dieser Kunst auseinandersetzen am besten Bescheid wissen. Bei genauerer Lektüre bekannter Theaterwissenschaftler wie beispielsweise Erika Fischer-Lichte fällt jedoch auf, dass diese den Drang, für alles einen tieferen Sinn zu finden, entschieden ablehnen. Natürlich sollten die grobe Handlung und in den meisten Fällen auch das Thema eines Theaterstücks für das Publikum einigermaßen verständlich sein. Alles weitere obliegt jedoch den Entscheidungen des Autors und noch mehr denen des Regisseurs. Verlässt man den Saal mit einem fragenden Blick, ist das nicht, wie vielfach angenommen wird, auf einen Mangel an Verständnis zurückzuführen, sondern in der Regel darauf, dass der Regisseur genau dies erreichen wollte. Menschen neigen dazu, Dinge verstehen zu wollen, was zwangsläufig dazu führt, dass diese versuchen, Erklärungen für sämtliche Drameninhalte zu finden. Gerade diese ist jedoch nicht der Sinn der Aufführung. Stattdessen geht die Theaterwissenschaft davon aus, dass die Elemente, die verstanden werden sollen bzw. müssen, so offensichtlich sind, dass Missverständnisse nahezu unmöglich sind. Eine Interpretation ist nicht Sinn der Aufführung, das sinnliche und emotionale Erleben steht im Vordergrund. Tatsächlich ist die Akzeptanz, nicht alles direkt oder vielleicht sogar nie zu verstehen, eine wichtige Fähigkeit, die besonders gut im Theater erlernt werden kann.
Dieser Artikel spricht sich nicht gegen Dramenanalysen und Interpretationen im Allgemeinen aus. Vielmehr soll er dazu anregen, auch andere Ansätze als den vermeintlich “richtigen” oder auch Unverständnis zuzulassen bzw. den Jugendlichen, mit Blick auf die Theaterwissenschaft, ans Herz zu legen, dass jede Art der Reaktion angebracht und in vielen Fällen sogar gewollt ist.
[1] Anmerkung: Im folgenden Artikel wird zur einfacheren Lesbarkeit ausschließlich das männliche Geschlecht verwendet. Dieses steht in diesem Fall jedoch stellvertretend für sämtliche existierende Geschlechter, sodass niemand ausgeschlossen wird.