Das problemorientierte Lernen ist eine Unterrichtsmethode, die die Lernenden in ihrer Individualität und Verschiedenheit ernst nimmt. Erstmals aufgekommen ist es als weniger starre Lehr- und Lernmethode in Reformstudiengängen. Mittlerweile ist das in der konstruktivistischen Theorie wurzelnde Vorgehen auch im Schulunterricht etabliert – mit vielen Vorteilen für die Schüler:innen.
Was ist problemorientiertes Lernen?
Gekennzeichnet ist das problemorientierte Lernen durch den Aufbau des Unterrichts. Im Vordergrund steht hierbei nicht die Vermittlung spezifischen Wissens, sondern die Konfrontation mit einem Problem – das nicht einmal zwingend eine konkrete Fragestellung umfasst. Die Aufgabe der Lernenden besteht in der Bearbeitung des präsentierten Problems, wobei sie in der Wahl ihrer Mittel ebenso wie in der konkreten Ausgestaltung ihrer Arbeit frei sind.
Hierdurch wird sichergestellt, dass ganz unterschiedliche Vorkenntnisse, Interessen und Perspektiven gleichberechtigt eingebracht werden können. Die Schüler:innen erleben folglich eine große Freiheit, was nicht nur motivationssteigernd wirken, sondern auch fachübergreifende Kompetenzen sowie die allgemeine Problemlösefähigkeit fördern kann. Der Erwerb von Wissen hingegen steht nicht im Vordergrund; er ist vielmehr ein Nebeneffekt der Auseinandersetzung mit spezifischen Problemstellungen.
Die Lehrperson rückt dabei deutlich in den Hintergrund: Sie übernimmt nicht länger eine Anleitungs-, sondern nur noch eine Moderationsfunktion. Ihre Aufgaben bestehen folglich vor allem in der Vorstellung des Problems, in der Organisation der Unterrichtseinheit sowie in der Gestaltung von Gruppengespräche. Letztere wiederum nehmen im problemorientierten Lernen eine prominente Rolle ein: Im offenen Austausch, ohne Vorgaben durch die Lehrperson, werden etwa Begriffe erörtert oder Fragen aufgeworfen.
Umsetzungsmöglichkeiten in der Schule
Im Schulunterricht ist die Umsetzbarkeit der vorgestellten Idee maßgeblich von der Eigenständigkeit der Schüler:innen abhängig. Während bei Studierenden vorausgesetzt werden kann, dass sie zu längerer eigenständiger Arbeit fähig sind, ist das vor allem in den unteren Klassenstufen der Schule nur selten der Fall. Entsprechend sinnvoll erscheinen hier Anpassungen des Konzepts.
In der Praxis hat sich – wie bei anderen Methoden des offenen Lernens – eine Umsetzung mit etwas stärkerer Moderation durch die Lehrperson etabliert. So wird die Grundidee der völlig eigenständigen Problemlösung meist mit vorbereitetem Input durch die Lehrperson bzw. mit vorbereiteten Informationsmaterialien verbunden. Üblich ist hierbei ein fünfstufiges Schema: Problemvorstellung, Austausch im Plenum, Austausch in Kleingruppen, Einzelarbeit, Vorstellung der Ideen bzw. Lösungen im Plenum.
Nicht selten lassen sich in der schulischen Praxis jedoch auch Mischformen des problemorientierten Lernens mit anderen Methoden, so etwa mit denen des Stationenlernens, feststellen. Überraschend sind diese Diskrepanzen zwischen Theorie und Praxis indes nicht: Die Didaktik bewegt sich als Disziplin beständig im Spannungsfeld von Theorie und Praxis – und steht damit zwischen zwei Bereichen, deren Differenzen häufig größer sind als ihre Berührungspunkte. Die Anwendung abstrakter Theorie auf einen konkreten Wirkbereich kann damit kaum durch eine 1-zu-1-Übernahme erfolgen. In der Erziehungswissenschaft wird dieser Umstand als Theorie-Praxis-Problem breit diskutiert.
Eine Anpassung abstrakter Konzepte an lebensweltliche Situationen und die Erfordernisse des faktischen Unterrichts erscheint vor diesem Hintergrund nicht nur sinnvoll, sondern unumgänglich.
Lerntheoretischer Hintergrund
Lerntheoretisch begründen lässt sich das problemorientierte Lernen mit der Theorie des Konstruktivismus. Der konstruktivistischen Lerntheorie folgend differieren die individuellen Wirklichkeiten einzelner Menschen stark voneinander: Jeder Mensch konstruiert seine Lebenswelt selbst, was auf Unterschiede in Wahrnehmung, Interpretation, Vorwissen, Sozialisation usw. zurückzuführen ist. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht sinnvoll, alle Schüler:innen mit standardisierten Inputs zu versorgen und daraufhin identische Outputs zu erwarten. Der Begriff des Lernens muss vielmehr neu gedacht werden: Lernen kann nicht länger die Wiedergabe standardisierten Wissens bedeuten, sondern muss als hochgradig individuell und nur vor dem Hintergrund des jeweiligen Individuums verstehbar aufgefasst werden.
Für die pädagogische Praxis bedeutet das, dass Unterricht – will er den Schüler:innen gerecht werden – flexibel gestaltet sein muss. Die Vermittlung von Informationen sollte entsprechend in den Hintergrund rücken. Zentral wird stattdessen das Aktualisieren bestehenden Wissens und bestehender Problemlösestrategien im Rahmen der Anwendung auf neue Probleme.
Das problemorientierte Lernen baut offensichtlich auf diesen Annahmen auf – und ist damit erfolgreich. Evaluationen der Leistungen von Studierenden in medizinischen Reformstudiengängen, die auf problemorientiertes Lernen setzen, haben ergeben, dass diese in Prüfungen nicht schlechter abschneiden als diejenigen herkömmlicher Studiengänge; ihr Fachwissen ist zwar leicht schlechter, was jedoch durch bessere Lern- und Problemlösekompetenzen kompensiert wird. Gleichzeitig sind sie aktiver und erhalten deutlich mehr Möglichkeiten, sich einzubringen – was sich positiv auf ihre Studienzufriedenheit auswirkt.
Quellen:
- https://www.ganztagsschule-niedersachsen.de/blog/problemorientiertes-lernen-in-der-schule/
- https://intrapsychisch.de/die-lerntheorie-des-konstruktivismus/
- http://www.inklusion-schule.info/methoden/problemorientiertes-lernen.html
- https://lehrerfortbildung-bw.de/st_digital/elearning/moodle/praxis/einfuehrung/material/2_meir_9-19.pdf
- https://www.pedocs.de/volltexte/2013/5817/pdf/UntWiss_2004_3_Preckel_Problembasiertes_Lernen.pdf
- https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/8352874/